Ventilspielkontrolle und Einstellung

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ist neu hier...
Guten Tag liebe Community,
ich mache dann mal in diesem Thread gleich die Vorstellung mit: Ich bin Steffen, komme aus Paderborn und fahre eine RSV4 APRC '12 in weiß.
Wenn ihr euch schon immer mal gefragt habt, was eigentlich bei der sogenannten Ventilspielkontrolle (20tkm/40tkm) gemacht wird oder ihr euch sogar selbst an's Schrauben machen wollt, dann seid ihr hier genau richtig.
Ich habe vor kurzem erst die Ventilspielkontrolle und -einstellung an meiner RSV4 vorgenommen. Im Internet gibt es leider kaum Threads auf Deutsch, in der das Verfahren gut erklärt ist.
In amerikanischen Foren wird viel über das Thema diskutiert und auch viele Tipps gegeben. Ich versuche alles hier unterzubekommen.
Die Ventilspielkontrolle sollte bei den APRC und nicht APRC sowie Factory-Modellen gleich sein. Wie es bei den Baujahren ab '17 aussieht, weiß ich leider nicht.

Okay, let´s go:
Zuerst eine Teileliste, was ihr alles genötigt:

Dichtungen und Ersatzteile:
2x 13,00€ Ventildeckeldichtung (vorderer, hinterer Zylinder Teilenummer 897443)
4x 4,90€ Dichtung Zündkerzenbohrung groß (Teilenummer 857074)
6x 3,40€ Dichtung Schrauben Ventildeckel (Teilenummer 898410)
1x Motordichtpaste eurer Wahl

Dichtungen und Ersatzteile falls eingestellt werden muss:
1x 47,90€ Kupplungsdeckeldichtung (Teilenummer 857451)
4x 1,40€ Dichtung Zündkerzenbohrung (Teilenummer 857043)
8x 1,20€ Unterlegscheibe aus Kupfer für Nockenwellenlagerdeckel (Teilenummer 857042)
1x Loctite 243 Mittelfest
1x Motoröl und Ölfilter, falls ihr das verwendete Motoröl/Filter nicht wieder benutzen wollt
4x ~40€ Zündkerzen NGK-R CR10E (braucht ihr nicht unbedingt, aber wenn ihr schon einmal soweit seid)

Werkzeugliste:
- alles mögliche an Nüssen und Inbusschlüssel/Aufsätze
- Fühlerlehren zum Messen des Ventilspiels (ich habe welche mit 0.01mm Abständen bis 0.1mm, so kann man genau messen)
- Drehmomentschlüssel bis 15 NM (z.B. Proxxon 23345 MicroClick-Drehmomentschlüssel MC15 3–15Nm)
- 17er Zündkerzenschlüssel

was ihr an Werkzeug benötigt, falls eingestellt werden muss:
- elektronischer Messschieber zum Messen der Shims (muss nicht sein, ein normaler reicht auch, macht das Leben aber einfacher)
- Spezialwerkzeug 020852Y (ihr könnt hier auch eine Gewindestange nehmen)
- Spezialwerkzeug 020851Y (ihr könnt hier auch einen gebogenen Inbusschlüssel nehmen)
- Spezialwerkzeug 020914Y (falls ihr das Kokusan Schwungrad habt)
- Spezialwerkzeug 020913Y (falls ihr das Kokusan Schwungrad habt)
- Spezialwerkzeug 020850Y (wird meiner Meinung nach nicht benötigt da sich in der Stellung für den Ausbau der Nockenwellen nichts verdrehen kann, wenn man vorsichtig arbeitet und Kurbelwelle arritiert ist. Falls ihr das Werkzeug dennoch verwenden wollt, dann müsst ihr Kupplungskorb usw. ebenfalls ausbauen (macht das nicht!))
- Spezialwerkzeug 020865Y (wird definitiv benötigt)
- Magnet für Tassenstößel
- Drehmomentschlüssel mit 30 NM (z.B. STIER Drehmomentschlüssel mit Umschaltknarre 1/2'' Aufnahme 10-50 Nm)

Okay, soweit zu den Vorbereitungen. Fangen wir also an.

Das wichtigste zuerst:
Nehmt euch das Werkstatthandbuch zur Hand. Diese Anleitung soll nur den Ablauf verdeutlichen und ersetzt keinesfalls das Werkstatthandbuch!

Weg freiräumen
Baut die Seitenverkleidungen, den Sitz und den Tank ab.
Danach entfernt ihr die ECU auf dem Luftfilterkasten. Schiebt dazu einfach die Entriegelung der Steckverbindungen zur Seite, die Stecker sollten sich nun von allein lösen.
Löst nun die Schrauben für die Düsen auf dem Luftfilterkasten und zieht alle vier heraus, löst die Befestigungsschraube des Kabelbaums am Luftfilterkasten und zieht die ganzen Kabel zur Seite.
Löst nun die Schrauben für den Luftfilterkasten und nehmt den Deckel ab.
In dem Luftfilterkasten sind vier Ansaugtrichter, löst die Schrauben und nehmt die Ansaugtrichter heraus.
Ihr könnt nun den unteren Luftfilterkasten herausnehmen, löst von ihm alle an ihm befindlichen gesteckten Kabel. Auch die beiden Schläuche links und rechts müsst ihr abziehen.
Zur Sicherheit habe ich in die Drosselklappenöffunungen der Zylinder Küchenrollenpapier gesteckt, sodass kein Staub oder Schmutz hineinfallen kann.
Das ganze sollte nun so aussehen:

Motor von oben.jpg

(Ich habe hier die Ventildeckel bereits ab gehabt und mit Folie zugedeckt, sodass keine Teile oder Staub in den Motorraum gelangen können)

Nun müsst ihr die Schläuche lösen, die sich über den Ventildeckel ziehen. Für die Zylinderbank am Kühler müsst ihr von der linken Seite den Lüfter abmontieren, sodass ihr mit einer Zange an die Sicherung des Schlauches kommt um ihn abziehen zu können.
An der Zylinderbank am Heck kommt ihr ohne weitere Demontage von Teilen an die Schlauchschelle heran.
Nun löst die Zündspulen und holt mit einem Zündkerzenschlüssel die Zündkerzen heraus. Steckt in das Loch wieder Küchenpapier, sodass keine Teile in den Motorbrennraum fallen können.
Ihr könnt nun die Schrauben der Ventildeckel (3 Stück pro Deckel) lösen und die Ventildeckel abnehmen. Ihr seht nun die Ein- und Auslassnockenwellen der vorderen und hinteren Zylinderbank.
Schraubt nun an der Kupplungsseite den silbernen Deckel ab.

Kupplungsdeckel.jpg

Keine Sorge, das Öl befindet sich weiter unten und es wird nichts herausfließen. Wenn ihr nun durch die Öffnung schaut, seht ihr ein Zahnrad mit einer Aufnahme für einen Inbusschlüssel. Steck z.B. eine Ratsche mit Aufnahme hinein, damit ihr die Kurbelwelle und somit auch die Nockenwellen drehen könnt.
Der Motor wird in Fahrtrichtung gedreht!

Ventilspiel messen

Fangt z.B. bei der hinteren Zylinderbank an. Dreht die Kurbelwelle jeweils so, dass ihr zwischen Nockenwelle und Tassenstößel messen könnt:

Nockenwelle.JPG

Nehmt euch also die Fühlerlehren zur Hand und fangt für die Einlassnockenwelle mit 0.10mm an. Passt die Fühlerlehre nicht zwischen Nocke und Tassenstößel, so muss das Ventilspiel eingestellt werden.
Die jeweils zum motorinneren liegende Nockenwelle ist die Einlassnockenwelle. Hier muss das Spiel zwischen 0.10mm und 0.15mm liegen. Notiert euch die gemessenen Werte für jedes Ventil/Nocke.
Auf der Auslassseite solltet ihr Werte zwischen 0.20mm und 0.25mm messen. Falls dem nicht so ist, muss das Ventilspiel eingestellt werden.
Falls alle Werte in Ordnung und in der Toleranz liegen, könnt ihr beruhigt sein und alles wieder zusammenbauen.

Toleranz Einlassnockenwelle: 0.10 – 0.15 mm
Toleranz Auslassnockenwelle: 0.20 – 0.25 mm
 
Zuletzt bearbeitet:
Ventilspiel einstellen
Okay, ihr gehört also wie ich zu den glücklichen (oder auch nicht), die das Ventilspiel einstellen müssen.
Traurigerweise habe ich schon öfter in amerikanischen Foren gelesen, dass schon von Werk aus die Toleranzen des Ventilspiels nicht eingehalten werden. Was da nun wirklich dran ist weiß ich nicht.
Ich habe bei meiner Aprilia bei ca. 17tkm gemessen und 5 Ventile waren (teilweise) deutlich außerhalb der Toleranz! Ein Auslassventil hatte sogar 0.10 mm zu wenig Spiel…
Bis jetzt haben wir nur den einfachen Part gemacht, das wirklich Schwierige kommt nun erst noch.
Zuerst: Öl ablassen, sonst habt ihr nasse Füße.
Ihr solltet euch an diesem Punkt nun die Frage stellen, auf welcher Zylinderbank die Ventile nicht in der Toleranz liegen.

Falls die Ventile auf der vorderen Zylinderbank (also die Zylinderbank, die näher zum Kühler liegt) außerhalb der Toleranz sind, fahrt hier fort:
Baut nun als erstes den Lichtmaschinendeckel auf der linken Seite eures Motorrades ab. Schraubt dazu alle Schrauben am Rand des Deckels ab, markiert euch die Stellen an denen die langen Schrauben hineingehören. Das Entfernen des Deckels kann teilweise etwas schwer gehen, arbeitet hier auf keinen Fall mit einem Schraubendreher oder ähnlichem zum Hebeln! Ihr könntet die Dichtfläche beschädigen.
Ihr seht nun den Rotor/ das Schwungrad.

Wissenswert: Aprilia hat zwei Typen von Schwungrädern verbaut. Das Kokusan und das Mitsubishi Schwungrad. Falls ihr das Kokusan Schwungrad haben solltet, braucht ihr die Spezialwerkzeuge 020914Y (zum Festhalten des Schwungrades) und 020913Y (Abzieher). Das Problem ist hier das Loch, in der ihr das Spezialwerkzeug 020852Y (oder Gewindestange) einführen müsst um die Kurbelwelle zu arretieren. Das Schwungrad verdeckt hier jedoch das Loch! Der Witz dabei ist jedoch, dass davon nichts im Werkstatthandbuch erwähnt wird. Es wird immer davon ausgegangen, dass das Mitsubishi Schwungrad verbaut ist.

Kokusan Mitsubishi Schwungrad.jpg

Aber warum machen wir das alles eigentlich? Über dem Schwungrad befindet sich ein kleines Loch, in der ihr das Spezialwerkzeug 020852Y einführen müsst um die Kurbelwelle zu arretieren. Bevor ihr das aber macht, müssen die Nocken- und Kurbelwelle in Position gebracht werden (dazu später mehr). Hier zuerst einmal ein Bild von dem Loch:

Loch Arretierung Kurbelwelle.jpg

Ich war natürlich wieder der glückliche und habe das Kokusan-Schwungrad verbaut. Also Spezialwerkzeug aufsetzen 020914Y und Schwungrad mithilfe des Abziehers 020913Y abnehmen.

Spezialwerkzeug Rotor.jpg

Schwungrad abgebaut.jpg
(Schwungrad abgebaut)

So nun können wir die Nocken- und Kurbelwelle in Position bringen. Dazu wieder auf der Kupplungsdeckelseite mithilfe des Inbusschlüssels die Kurbelwelle in Fahrtrichtung drehen, bis der Kolben des 1. Zylinders (linker hinterer Kolben) auf OT (oberer Totpunkt, Einlass- und Auslassventile sind entlastet) stellen. Dann die Kurbelwelle erneut um 150° drehen.
Wenn ihr alles richtig gemacht habt, dann könnt ihr mithilfe einer Taschenlampe eine Einbuchtung innerhalb des Loches auf der Lichtmaschinenseite sehen.

Arretierung Loch Kurblewelle Lichtmaschinenseite.jpg

In diese Einbuchtung wird die Gewindestange/Spezialwerkzeug hineingeschraubt, sodass die Kurbelwelle arretiert ist und sich nicht mehr bewegen kann. Zur Verdeutlichung hier ein Bild von der Kurbelwelle der RSV4 mit dem besagten Loch:

Kurbelwelle mit Loch.jpg
(auf dem Bild zwar die Seite der Kupplung, aber auf der anderen Seite der Kurbelwelle befindet sich ebenfalls so ein Loch)

Schraubt nun das Spezialwerkzeug/Gewindestange hinein:

Arretierung Gewindestange Lichtmaschinenseite.jpg

An der Einlassnockenwelle könnt ihr nun den Inbusschlüssel/Spezialwerkzeug 020851Y einstecken um zu schauen, ob Nockenwellenposition mit Kurbelwellenposition übereinstimmen. Das ist Voraussetzung für das Einstellen des Ventilspiels. Ihr müsst dazu von der anderen Seite des Nockenwellenzahnrades das Spezialwerkzeug einführen:

Arretierung Nockenwellenzahnrad Inbusschlüssel.jpg

In dem Nockenwellenlagerdeckel ist nämlich ebenfalls ein kleines Loch eingelassen. Passen die Markierungen an Kurbelwelle und Nockenwelle können wir weiter machen.

Wissenswert: Aprilias Spezialwerkzeug 020851Y ist nicht dafür konzipiert, dass die Arretierung der Nockenwelle mit eingebautem Motor erfolgen kann. Man kann nämlich aufgrund des Rahmens das Spezialwerkzeug nicht einführen. Hier ist also ein gebogener Inbusschlüssel die bessere Wahl!

Ganz wichtig nun: Markiert euch Nockenwelle mit Nockenwellenzahnrad und Steuerkette, sodass falls sich etwas verschiebt ihr wieder in den Ursprungszustand zurück könnt.

Markierung Nockenwellenzahnrad und Nockenwelle.jpg

Wenn ihr nun auf das Nockenwellenzahnrad schaut seht ihr zwei silberne Schrauben. Diese müssen gelöst werden um das Nockenwellenzahnrad auf das Spezialwerkzeug 020865Y schieben zu können. Entfernt das Spezialwerkzeug auf der Limadeckelseite (Gewindestange/020852Y) und vom Nockenwellenzahnrad (Inbusschlüssel/020851Y) und dreht an der Kurbelwelle solange in Fahrtrichtung bis die vom Zylinderkopf verdeckte Schraube am Nockenwellenzahnrad sichtbar wird und ihr diese lösen könnt. Versucht ihr nämlich alle Schrauben mit eingesetztem Spezialwerkzeug zu lösen, wird euch das nicht gelingen, da der Zylinderkopf immer eine Schraube verdeckt.
Löst also die Schraube, passt auf dass euch diese nicht in den Motorraum fällt.
Nun dreht ihr die Kurbelwelle wieder in Ausgangsposition. Dazu wieder auf der Kupplungsdeckelseite mithilfe des Inbusschlüssels die Kurbelwelle in Fahrtrichtung drehen, bis der Kolben des 1. Zylinders (linker hinterer Kolben) auf OT (oberer Totpunkt, Einlass- und Auslassventile sind entlastet) stellen. Dann die Kurbelwelle erneut um 150° drehen.
Ihr könnt nun wieder die Arretierung auf der Lichtmaschinenseite einsetzen.
Gut, fast geschafft.
Löst nun die zweite Schraube von dem Nockenwellenzahnrad.
Das Zahnrad kann sich nun frei auf der Nockenwelle bewegen, nun muss sehr vorsichtig gearbeitet werden. Fällt das Zahnrad in den Motorraum hinein, habt ihr ganz andere Probleme!

Wissenswert: Fällt die Steuerkette mit Nockenwellenzahnrad in den Motorraum, könnt ihr diese wahrscheinlich wieder herausholen, jedoch ist ein aufstecken des Nockenwellenzahnrades auf die Nockenwelle nun nicht mehr möglich. Der Steuerkettenspanner würde ausfahren (Sitzt in dem V des Motors). Der Steuerkettenspanner (SKS) lässt sich nicht einfach wieder hineinschieben, dazu muss der SKS ausgebaut werden. Bei dem V4 Motor darf man dann den Zylinderkopf ausbauen!

Löst nun den Nockenwellenlagerdeckel direkt am Nockenwellenzahnrad. Löst auch die kupferfarbene Ölleitung und nehmt sie herunter. Nun könnt ihr den Lagerdeckel abnehmen.

Nockenwellenlagerdeckel für Spezialwerkzeug.jpg
 
Die Schrauben werden wieder in die Löcher hineingeschraubt, in der sie gewesen sind, also merken oder notieren!
Setzt nun das Spezialwerkzeug 020865Y auf. Es kann sein, dass die Löcher des Spezialwerkzeuges nicht unbedingt mit der des Zylinderkopfes passen. Hier musste ich selbst mehrmals das Spezialwerkzeug biegen, damit es passt. Aprilia hat hier keine gute Qualität der Werkzeuge!

Wissenswert: In der ersten Version des Spezialwerkzeuges 020865Y war nicht einmal ein Aufstecken auf der Zylinderbank am Kühler möglich. Das Spezialwerkzeug war nur mit ausgebautem Motor verwendbar, da das Werkzeug an den Rahmen gekommen ist. An der Passgenauigkeit hat sich jedoch nichts getan, die ist einfach nur schlecht!

Nun sollte alles so aussehen:

aufgesetztes Nockenwellen Spezialwerkzeug mit eingebauten Nockenwellen.jpg

Schiebt nun das Nockenwellenzahnrad auf das Spezialwerkzeug. Das sollte einfach und ohne viel Kraft funktionieren.
Nun könnt ihr die anderen Nockenwellenlagerdeckel entfernen und die Nockenwellen herausnehmen.

Aufgesetztes Nockenwellenzahnrad Spezialwerkzeug.jpg

Geschafft, nun können wir die Tassenstößel jeweils einzeln herausnehmen und die kleinen Shims messen. Die Tassenstößel werden wieder da hineingesetzt, wo sie herausgenommen wurden! Wir müssen nur die Tassenstößel herausnehmen, dessen Ventile nicht in der Toleranz sind.
Nehmt hierzu einen Magneten und zieht vorsichtig den Tassenstößel heraus. Entweder der Shim klebt im Tassenstößel oder der Shim befindet sich noch auf dem Ventilteller.

Shim im Ventilteller.jpg
(Shim im Ventilteller)

Shim und umgedrehter Tassenstößel.jpg
(Shim und umgedrehter Tassenstößel)

Nun messt ihr die Dicke des Shims mit der Fühlerlehre.

Wissenswert: Meistens sind bei Supersportlern und Hochdrehzahlmotoren das Ventilspiel zu klein, also unterhalb der Toleranz. Das liegt daran, dass sich das Ventil bei Hochdrehzahlmotoren (z.B. der RSV4 Motor) in den Ventilsitz einarbeitet und somit an Ventilspiel verliert. Tückisch, denn der Fahrer bemerkt davon nichts.
Wird das Ventilspiel zu klein, so kann im schlimmsten Fall das Ventil abbrennen, denn das Ventil schließt nun nicht mehr richtig und kann sich am Ventilsitz nicht mehr abkühlen, die Abgase strömen wie ein Schneidbrenner unaufhaltsam am Ventilschaft vorbei. Das Ventil kann also bei voller Fahrt in den Motorraum fallen. Fazit: Gulasch!
Anders ist das bei herkömmlichen Automotoren mit Tassenstößel. Hier fangen die Motoren eher zu klappern an, das Ventilspiel wird mit der Zeit also größer.
In der Regel gilt: Lieber zu großes als zu kleines Ventilspiel!


Um euer Ventil nun wieder in Toleranz zu bringen, müsst ihr ein wenig rechnen.
Ist euer Ventilspiel zu klein, so müsst ihr vom gemessenen Wert des Shims den Wert abziehen, der euch fehlt, bis ihr wieder in der Toleranz liegt. Das gemessene Ventilspiel habt ihr euch ja notiert!
Ist euer Ventilspiel zu groß, so macht ihr genau das Gegenteil.
Versucht das Ventilspiel an die obere Grenze der Toleranz einzustellen.
Ihr könnt nun zum nächsten Aprilia-Vertragshändler fahren und dort die benötigten Shims kaufen. Die Shims gibt es in der Regel in vielen unterschiedlichen Größen.
Meiner hat diese im Austausch durch die Alten genommen, ich musste nur etwas in die Kaffeekasse werfen...
Falls es ein Shim nicht in der gewünschten Dicke gibt, dann nehmt das nächst kleinere welches noch in der Toleranz liegt.
Es kann unter Umständen auch sein, dass Shims unter den Ventilen getauscht werden können. Bitte berücksichtigt das.

Wissenswert: Aprilia verbaut Shims mit einem Durchmesser von 8.8mm. 8.9mm Shims passen jedoch auch in den Ventilteller und viele andere Hersteller verbauen ebenfalls 8.9mm Shims (z.B. BMW, KTM).
Es kann also gut sein, dass auch andere Händler Shims mit dem gleichen Durchmesser haben.
Wundert euch nicht, die Shims können pro Stück bis zu 10 Euro kosten!


Baut nun in umgekehrter Reihenfolge die neuen Shims in die Ventilteller ein. Bevor ich die Tassenstößel wieder eingebaut habe, habe ich diese ein wenig geölt.
Das eigentliche Ventilspiel haben wir nun erfolgreich eingestellt!

Einbau Nockenwellen
Wir können nun die Nockenwellen wieder einbauen. Dazu die Lagerschalen des Zylinderkopfes gut ölen. Die Auslassnockenwelle hat eine integrierte Feder (rot markiert), die die vorderen Zähne des Zahnrades verschiebt. Legt beide Nockenwellen erst einmal provisorisch in den Zylinderkopf. Achtet darauf, dass die Markierung auf den Zahnrändern übereinstimmt (grün markiert). Ihr müsst eventuell etwas druck aufwenden um die Nockenwellen in Position zu bringen.

Wissenswert: Die integrierte Feder in der Auslassnockenwelle ist für die Geräuschminimierung da. Frühere Modelle der RSV4 haben diese Feder noch nicht integriert gehabt.

Nockenwelle Feder.jpg

Wir müssen nun noch die Dichtungen der Lagerdeckel wechseln (Teilenummer 857043). Falls ihr das nicht macht, kann Öl in den Schaft der Zündkerze laufen. Die RSV4 hat Löcher im Zylinder um Kondenswasser aus der Zündkerzenbohrung ablaufen lassen zu können, dort wird es sonst ölen.

Dichtungen Lagerdeckel.jpg
 

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Insgesamt 4 Schrauben der Nockenwellenlagerdeckel pro Zylinderbank haben Unterlegscheiben (Teilenummer 857042). Diese ebenfalls wechseln.

Ist das geschafft können die Lagerdeckel montiert werden. Diese passen nur in eine Richtung, da die Einlassnockenwelle etwas dicker ist. Der Lagerdeckel, der die Bohrung für die Ölleitung hat, gehört an die Stelle, die am nächsten zum Nockenwellenzahnrad (Steuerkette) ist. Ölt auch noch einmal die Lagerdeckel. Schraubt nun kreuzweise die Lagerdeckel handfest.

Nun können wir die Nockenwellen per Hand in Position drehen, sodass unsere Markierungen auf Nockenwellenzahnrad und Einlassnockenwelle fluchten. Schiebt nun das Nockenwellenzahnrad zurück auf die Einlassnockenwelle. Selbst wenn jetzt immer noch nicht die Markierungen fluchten sollten, so kann die Einlassnockenwelle trotzdem noch gedreht werden, das Nockenwellenzahnrad ist ja noch nicht auf der Einlassnockenwelle befestigt.
Wenn alle Markierungen passen, kann nun das Spezialwerkzeug entfernt werden. Nehmt eine Schraube für das Nockenwellenzahnrad, macht ein Tropfen Loctite 243 auf das Ende der Schraube und schraubt sie hinein. Die Schraube wird mit 30 NM angezogen, an der vorderen Zylinderbank ist das jedoch nicht möglich, da der Rahmen im Weg ist. Hier muss nach Gefühl angezogen werden. Aber Vorsicht: nach fest kommt ab!
Nun kann der letzte Lagerdeckel montiert werden. Danach müssen alle Schrauben kreuzweise mit 12 NM angezogen werden.

Erneutes Messen
Entfernt alle Spezialwerkzeuge für die Arretierung und dreht mithilfe der Kurbelwelle die Nocken wieder so, dass ihr messen könnt. Alle Ventile sollten nun in der Toleranz liegen. Falls nicht, müsst ihr erneut einstellen! Also Nockenwellen usw. müssen wieder raus!

Einbau Ventildeckel und Rest
Verpasst dem Ventildeckel erst einmal eine neue Ventildeckeldichtung (Teilenummer 897443) und neue Dichtungen für die Zündkerzenbohrung (Teilenummer 857074). Mit Bremsenreiniger kann die Auflagefläche des Ventildeckels gereinigt werden. Anschließend Dichtpaste auf die Halbmonde im Zylinderkopf dünn auftragen. Setzt den Ventildeckel auf den Zylinderkopf. Nun müsst ihr noch die Dichtungen an den Schrauben des Ventildeckels austauschen (Teilenummer 898410). Zieht die Schrauben schrittweise mit 10 NM an. Nun können Zündkerzen, Zündspulen, Schläuche, Lüfter, Luftfilterkasten, ECU und Tank wieder montiert werden. Füllt Öl auf und schraubt eventuell einen neuen Ölfilter auf. Beim ersten Starten kann der Motor einige Sekunden stark klappern, da die Steuerkettenspanner noch nicht mit Öl gefüllt sind. Das sollte sich nach wenigen Sekunden aber legen.

Hinweis: Für den Kupplungsdeckel gibt es eine Dichtung zu kaufen, für den Lichtmaschinendeckel jedoch nicht! Hier wird nur mit Dichtpaste gearbeitet.

Falls die Ventile auf der hinteren Zylinderbank außerhalb der Toleranz sind, fahrt hier fort:
Das Loch für die Arretierung der Kurbelwelle befindet sich neben dem Kupplungskorb. Ihr müsst also den Kupplungsdeckel abnehmen. Wichtig: Öl muss wie auch bei der Limadeckelseite abgelassen sein.
Entfernt den Bowdenzug für die Kupplung und hängt diesen aus.
Löst nun die Schrauben vom Kupplungsdeckel und nehmt ihn ab. Hier kann es hilfreich sein den Arm für den Kupplungsbowdenzug zu wackeln, meistens geht der Deckel dann schon ganz von alleine ab.
Auch hier gilt: Nicht mit einem Schraubendreher zum Hebeln arbeiten!

Arretierung Nockenwelle Kupplungsdeckel.jpg

Das Loch zum Arretieren befindet sich über dem rechten Zahnrad. Ihr erkennt es daran, dass das Loch ein Gewinde enthält. Hier kann das Spezialwerkzeug 020852Y oder die Gewindestange eingeführt werden. Bevor ihr das aber macht, müssen die Nocken- und Kurbelwelle in Position gebracht werden.
Es kann nun wie bei der vorderen Zylinderbank fortgefahren werden

Nützliche Links:
hier wird die Ventilspielkontrolle in einem Video gezeigt
Ersatzteilkatalog: http://www.wendelmotorraeder.de/aprilia-ersatzteile-und-zubehoer-fuer-rsv4-c-10_1009_100904.html schön um den Aufbau des Motorrades besser zu verstehen

Wissenswert: Aprilia rechnet mit 6 Stunden für diese Tätigkeit. Ich habe knapp 2 Tage gebraucht, auch weil ich das zum ersten Mal an einer RSV4 gemacht habe. Lasst euch also ruhig Zeit!

So das war´s erstmal von mir, viel Spaß beim Lesen und Schrauben!
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr guter Beitrag 👍. Ich würde noch als Info aufnehmen, dass die Schellen vom Drosselklappen Körper extrem schwierig zum wieder befestigen sind. Hier helfen einem Schraubschellen weiter.
Grüße Manu
 
Sehr guter Beitrag 👍. Ich würde noch als Info aufnehmen, dass die Schellen vom Drosselklappen Körper extrem schwierig zum wieder befestigen sind. Hier helfen einem Schraubschellen weiter.
Grüße Manu
Der muss aber nicht zwangsweise entfernt werden, ich habe den bei mir einfach drauf gelassen um mir den Stress zu ersparen, auch wenn es natürlich so im Werkstatthandbuch steht. 🙂
 
Dann habe ich mich blöd angestellt. Hätte die Ventildeckel sonst bei mir nicht raus bekommen.
 
Schön dokumentiert, meine Hochachtung.

Allerdings scheint mir der Aufwand kaum geringer zu sein, als das Prozedere am Jaguar V12. Bei dem muss das aber nur alle ca. 100.000 km gemacht werden.
Das machen zu lassen ist nicht billig in der Vertragswerkstatt. Jetzt haben wir auch eine Ahnung davon, warum das so ist.
 
Schön dokumentiert, meine Hochachtung.

Allerdings scheint mir der Aufwand kaum geringer zu sein, als das Prozedere am Jaguar V12. Bei dem muss das aber nur alle ca. 100.000 km gemacht werden.
Das machen zu lassen ist nicht billig in der Vertragswerkstatt. Jetzt haben wir auch eine Ahnung davon, warum das so ist.
Und warum wir Trotz 21 jahre Meisterbrief schulungen besuchen müssen !!!!!
 
Klasse Beitrag! Soviel vor weg!
Ich lasse es trotzdem bei einem ziemlich durchgeknallten Briten mit Hang zum Schwabentum warten. 1. bin ich trotz der guten Anleitung zu blöd für so etwas, 2. muss man ja auch die Wirtschaft hochhalten 😬
 
Der @Vince kann uns am samstag ein schwäbisches liedchen trällern oder ein vers aufsagen, dann kann er zeigen, was er gelernt hat 👍😁
 
Motoplex
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