Fahrwerk einstellen für Einsteiger

FATMAN

fühlt sich wohl hier...
Premium Mitglied
Motorrad
RSV4 1100 Factory
Modelljahr
2021
Moin zusammen,

ich bin kein absoluter Experte für das Thema, aber ich habe das Seminar vom Meindl gekauft (SBK Tech) und es mehrfach gefressen.
Daraufhin habe ich bei mittlerweile etwa 10 Motorrädern das Fahrwerk "nach diesen Regeln" eingestellt und JEDER hatte absolut positives Feedback, daher würde dieses Wissen gerne hier weiter geben. Wenn es jemand mit weit mehr Praxis besser weiß als ich, bin ich gerne gewillt dazu zu lernen - macht mich gerne auf etwaige Fehler aufmerksam.

Ich werde es versuchen, so kurz wie möglich zu halten. Es ist für ein Basis-Setup keine Raketenwissenschaft. Schreibt euch bitte nur vorher alle Ist-Werte auf, falls es schief geht.
Habe es so wie unten beschrieben auch bei meiner RSV4 gemacht und hatte gleich noch eine große Schippe mehr Vertrauen in die Fuhre.

1. Vorspannung: Die Vorspannung regelt maßgeblich die Höhe des Motorrades. Oft wird es verwechselt mit der "Härte", aber was sich bei erhöhter Vorspannung verändert ist bloß das subjektive Empfinden der Härte, da sich das "Losbrechmoment" der Feder ändert. Die Feder bleibt allerdings die Selbe und damit ändert sich nichts an der Härte. Eine stärkere Vorspannung muss "irgendwo hin" (Energie kann weder erschaffen noch vernichtet werden...) und damit das passiert, drückt eine stärker vorgespannte Feder das Motorrad "aus dem Dämpfer" - Es kommt also höher. Die korrekte Einstellung der Vorspannung hat Priorität über der Einstellung der Dämpfung, da nur mit einer korrekten Vorspannung das Fahwerk erst in den Bereich kommt, in dem es am besten arbeitet.

Einstellung der Vorspannung:
Merkt euch L1 (Motorrad völlig ausgefedert) L2 (Motorrad steht auf seinem eigenen Gewicht AUFRECHT! - nicht auf dem Ständer) und L3 (Motorrad mit Fahrer auf einer Zehenspitze.)
Der Unterschied von L1 und L2 ist der "statische Federweg" und maßgeblich wichtig ist der Unterschied von L1 zu L3 (dynamischer Federweg).

Diesen müsst ihr als Momentaufnahme messen. Dazu braucht ihr einen Freund, der alle Messungen durchführt, während ihr (am besten in Lederkombi) für L3 auf dem Motorrad sitzt. Es ist wichtig dass die selbe Person ALLE Messungen durch führt, weil ihr nur so sicher sein könnt, dass die Referenzen passen. Alternativ könnt ihr jemanden der ein wenig fetter ist als ihr selbst, für L3 auf dem Motorrad sitzen lassen.
Hinten: Maßband an das obere Ende der Achse, welches zu einem einfach zu reproduzierenden Messpunkt am Heck führt (Kennzeichenhalter, Sticker etc...)
Vorne: Goldener oberer Rand des Gabelrohres, bis zum Gabelfuß. (Ihr müsst euch den Punkt für die 6 Messungen - vorher / nachher - merken können.)

Grundregel für ein gutes Basis-Setup, auf das Fahrergewicht eingestellt:
Dynamischer Federweg VORNE von 35-40mm bei einem Gesamtfederweg von etwa 120mm (~30,8%) (Öhlins selbst empfiehlt beim SMART EC 2.0 36mm)
• Dynamischer Federweg HINTEN von 25-30mm bei einem Gesamtfederweg von 127mm ( ~21,2%) (Öhlins selbst empfiehlt beim SMART EC 2.0 32mm)



To Do: Messt L1, L2 und L3. Wenn L3 hinten unter 25mm oder vorne unter 35mm ist, steht euer Motorrad zu hoch. (Vorspannung WEGNEHMEN.) Andersherum, ist es zu niedrig und die Vorspannung muss vorne wie hinten erhöht werden. Wenn ihr trotz starkem Erhöhen der Vorspannung nicht in unter den Sollwert kommt (immer noch über 30mm), ist eure Feder mit eurem Fahrergewicht maßgeblich überlastet oder zu alt. Dann ist es Zeit für eine härtere Feder. Erst mit einer korrekt eingestellten Vorspannung ist eure Geometrie ungefähr in dem Bereich, für den Aprilia das Chassis auch entwickelt hat.

Dämpfung:
Hier gilt die Grundregel "So weich wie möglich, so hart wie nötig". Es gibt hier nicht klare Messwerte wie bei der Vorspannung, grundsätzlich muss das Fahrwerk arbeiten um Grip aufzubauen. Wenn es nicht schnell genug arbeiten kann, leidet der Reifen unnötig viel und das kostet Haftungsreserven. Eigentlich einfach und logisch zu verstehen.
In aller Regel befindet sich die vorne die Zugstufe (ausfedern) oben und die Druckstufe (einfedern) unten, oder beide sind von oben einzustellen - wobei eine Holm jeweils die Druck- und der andere die Zugstufe regeln. (Das steht meist drauf. COMP für Compression und TEN für TENSION.)
Hinten ist es in der Regel anders herum. Druckstufe oben, Zugstufe unten. Andernfalls sollte es ebenfalls ausgeschrieben sein. (zb. bei Öhlins...)
Bitte bedenkt, dass das ganze Fahrwerk sich vorne auf 35-60°C und hinten bis zu 105°C (Krümmer neben dem Federbein...) erhitzt, und im warmen Zustand deutlich weicher wird. Im Idealfall solltet ihr eure Dämpfung unmittelbar nach einer 30-60 minütigen Fahrt einstellen.

Einstellung vorne
: Nachdem ihr euch den Ist-Wert der Dämpfung aufgeschrieben habt (im Uhrzeigersinn zudrehen und Klicks / Umdrehungen zählen...) solltet ihr vergleichen wie es sich anfühlt, wenn ihr komplett zu und komplett auf dreht - Damit ihr dem "Spektrum" eures spezifischen Fahrwerks einmal auf den Zahn fühlt.
Wenn ihr zb. 18 Klicks in der Druck- und Zugstufe habt, dreht es auf die Mitte.

Dann federt ihr mit gezogener Bremse hart ein und beobachtet, ob die Gabel nach dem Ausfedern "über die Standposition hinaus springt und ein 2. mal wenige Milimeter einfedert". Das sollte "gerade eben so" nicht passieren, justiert hier für die Zugstufe so dass sie in einem guten Tempo ausfedert, aber eben nicht "zurück schwingt".
Einmal runter drücken, einmal zurück schwingen. Das Motorrad sollte nicht noch einmal "von selbst wieder nach unten federn".
Bei der Druckstufe gibt es am meisten Interpretationsspielraum, die ist maßgeblich für den Fahrkomfort zuständig. Nach meinem Gefühl funktioniert die RSV4 ein wenig besser wenn man sie "auf der weicheren Seite" einstellt, also empfehle ich hier die Position 60% geöffnet im Spektrum. (Bei 18 Klicks, 11 offen.)

Einstellung hinten:
Hier ist es am schwierigsten zu beobachten, da das selbst rauf und runter federn einiges an Kraft kostet. Dazu solltet ihr für hinten einen Montageständer benutzen, oder jemanden dabei haben der euer Motorrad sicher gerade hält.
Ich würde hier empfehlen ebenfalls die Druckstufe im gesamten Spektrum komplett zu und offen zu vergleichen, es dann auf 60% geöffnet einstellen und darauf achten dass das Motorrad genau so schnell ausfedert, wie es einfedert. Sie sollte nicht "super schnell zurück federn" sondern "leicht gebremst" - etwa im selben Tempo wie es mit euere Handkraft hinten einfedert - wieder herausfedern. Zum Justieren des Ausfederns stellt ihr die Zugstufe entsprechend ein.

Hier ein Beispiel für den Notiz-Zettel beim Einstellen: (So mache ich es immer, nur schriftlich in meinem Buch)

RSV4 SETUP
VORHER:

FRONT:
L1 120mm
L2 114mm - Statischer Federweg 6mm
L3 85mm - Dynamischer Federweg 35mm

BACK:
L1 609mm
L2 595mm - Statischer Federweg 14mm
L3 575mm - Dynamischer Federweg 34mm
____________________________________________________

NACHHER:
Front:
L1 120mm
L2 113mm - Statischer Federweg 7mm
L3 83mm - Dynamischer Federweg 37mm (Etwas Vorspannung rausgedreht)
BACK:
L1 609mm
L2 598mm - Statischer Federweg 11mm
L3 581mm - Dynamischer Federweg 28mm (Etwas Vorspannung reingedreht)

Dämpfung VORHER:
Front ZUG: 14/18 Clicks
Front DRUCK: 16/18 Clicks
Back ZUG: 4/15 Clicks
Back DRUCK 4/16 Clicks

Dämpfung NACHHER:
Front ZUG: 11/18 Clicks
Front DRUCK: 13/18 Clicks
Back ZUG: 9/15 Clicks
Back DRUCK 11/16 Clicks
 
Zuletzt bearbeitet:
Genau richtig, so sollte man es machen (y).
 
Großes Dankeschön für die Mühe!
 
In aller Regel befindet sich die vorne die Zugstufe (ausfedern) oben und die Druckstufe (einfedern) unten, oder beide sind von oben einzustellen - wobei eine Holm jeweils die Druck- und der andere die Zugstufe regeln. (Das steht meist drauf. COMP für Compression und TEN für TENSION.)
kleiner Fehler, TEN steht für Tension und ist die Vorspannung, in dem Falle ist die Zugstufe mit REB für Rebound bezeichnet
 
Motoplex
Zurück
Oben